Super Randonnée de Haute Provence, Juli 2010

„Hier sind wir sehr weit vom Norden.“ Colette  

Dienstag, 6. Juli 2010, 04:50 Uhr, Ortsausgang von Carcès, Département Var, Provence:

Es ist eine sternenklare Nacht. Mein Rad lehnt am Ortsschild. Ich mache davon ein Digitalbild mit Blitz und trage die Uhrzeit in der Rubrik „Contrôle 1“ in meine Streckenkarte ein.  Dann packe ich die Kamera wieder in die Lenkertasche und fahre ich los Richtung Norden,  meinem ersten anspruchsvollen Ziel entgegen, dem Grand Canyon du Verdon.

Selten habe ich mich auf eine Fahrt so gefreut, und noch nie war ich so gespannt auf die Landschaft und die Schwierigkeiten der Strecke. Seit ich auf der Webseite von Sophie  ihre fantastischen  Landschaftsfotos der Haute Provence gesehen habe, wollte ich dieses „permanente“  600 km-Brevet, dessen weitere Charakteristika das respektable Höhenprofil und die totale Autonomie sind, einmal  – und zwar am liebsten allein –  fahren.  Sophie hat mich nach meiner Anmeldung sofort eingeladen, in ihrem Haus zwei Kilometer vom Ortszentrum von Carcès zu übernachten. Obwohl sie erst am Vorabend meiner Ankunft vom „Cascade 1200“ aus USA zurückgekehrt war , hatte sie bereits für ein reichhaltiges Frühstück  eingekauft und sich viel Zeit genommen, um meine Fragen nach Wasserstellen, Einkaufs- und Verpflegungsmöglichkeiten auf der Strecke zu beantworten. Als kleines Mitbringsel hatte ich für sie mein „Große Acht durch Bayern“-Trikot dabei – Sophie sammelt leidenschaftlich Randonneur-Trikots aus aller Welt. Schließlich bestand Sophie darauf, mich persönlich am nächsten Morgen um halb fünf auf die Strecke zu verabschieden.

Verdon

Da fahre ich nun der Morgendämmerung entgegen, die Sterne verblassen und ein weiterer heißer Sommertag kündigt sich an. Die Strecke steigt zunächst  in leichten Wellen an, durch Weinberge, Eichenwälder und verschlafene Provencedörfer. Das erste Ziel ist nach 47,5 km die Kontrollstelle Source de Vaumale  am Südrand der Verdon-Schlucht auf 1180 m, eine Wasserstelle, mehr als 1000 Meter höher gelegen als der Startort Carcès (135 m). Nach einer knappen Stunde Einrollen beginnen stärkere und längere Steigungen, schließlich eröffnet sich links ein wundervoller Blick auf den tief unten liegenden Stausee Lac de Ste. Croix am Ausgang der Verdonschlucht. Noch bin ich vollkommen allein auf dem rauen Asphalt unterwegs und genieße bald die ersten schaurigen Tiefblicke in die gigantische Schlucht mit dem Flüsschen Verdon 500 Meter unter mir, noch im Schatten. Dann:  Foto-Kontrolle am Schild „Source de Vaumale“ um 07:44 Uhr, Eintrag in die Kontrollkarte und weiter.  Mit ständigen Auf- und Abfahrten umrunde ich die Schlucht, von einem spektakulären Aussichtspunkt zum nächsten.  Vor lauter Euphorie über die Schönheit der Strecke reizt es mich, schneller zu fahren. Ich rufe mir jedoch die Warnung von Sophie für die ersten 100 Kilometer  in Erinnerung: sie sind so anspruchsvoll, dass sich jedes Überziehen später rächt. Sophie selbst hat ihren ersten Versuch des „Super Randonnée“ nach der Verdon-Umrundung abgebrochen. Ich besinne mich daher lieber auf die kleinen Gänge meines Kompakt-Antriebs. Bald folgt auch schon die erste Härte-Prüfung in Gestalt der „Route des Crètes“ auf der Nordseite der Schlucht: ein kleines Strässchen mit dürftigem Belag, dafür aber in bester Sonnenexposition  führt von 889 m zum höchsten Punkt der Umrundung auf 1320 m. In die steilen Rampen knallt die Sonne, die um 10:30 Uhr schon erstaunliche Kraft hat. Um 10:53 bin ich endlich oben (km 104), am Schild des Tourismusverbands mache ich die obligatorische Fotokontrolle und den Eintrag ins Streckenbuch. Die Abfahrt auf der schmalen Straße immer hart am Rand des Felsabbruchs ist ein Erlebnis. Gerne hätte ich mehr Zeit, um die immer neuen Ausblicke auf und in den Canyon zu genießen und zu fotografieren. In  La Palud (km 119) gönne ich mir die erste längere Pause im Schatten des uralten Waschhauses, umgeben von plätschernden Brunnen.  Ein Brioche (salziges Hefeteiggebäck) und ein Stück Pizza aus der Boulangerie machen die Erholungspause perfekt.

Espinouse und Fontbelle

Der folgende Streckenanbschnitt bis zum Col d`Espinouse (km 170) ist weniger schwer. Nach längerer Abfahrt durch den westlichen Teil der Verdon-Schlucht und ein paar kurzen Anstiegen auf eine Hochfläche folgt ein völlig anderer Landschaftseindruck: vor dem Panorama der südlichen Voralpen flimmern Weizen- und violett blühende Lavendelfelder in der  Mittagshitze.  Inzwischen hat ein schwacher Nordwind eingesetzt, der mir den Lavendelduft  entgegenweht.  Ich habe den Wind zwar hauptsächlich von vorne, er ist mir aber wegen seiner kühlenden Wirkung willkommen. Der inmitten von Feldern und Schafweiden gelegene Col d`Espinouse (14:51 Uhr) stellt kein Problem dar. Nach der Abfahrt in das Tal der Bléone verspüre ich den Wunsch nach einem Nachmittagsschlaf im Schatten. Ich lege mich neben der Straße ins Gras, kann aber nicht einschlafen. Nach ein paar Minuten fahre ich weiter; wenigstens war es gut, die Beine im Liegen auszustrecken… Noch eine kleine Kaffeepause im nächsten Ort, die Trinkflaschen mit Leitungswasser aufgefüllt, dann nehme ich die 800 heißen Höhenmeter zum  Col de Fontbelle (1304 m) in Angriff. Die schmale, wie schon am Espinouse nahezu verkehrsfreie Straße steigt terrassenartig durch Weizenfelder und Wiesen an. Schatten gibt es keinen. Nachdem ich 15 km lang auf eine das Talende  absperrende Felswand zu gefahren bin, frage mich, wo die Strecke da eigentlich durchführen soll. Dann beginnen steilere Rampen, die mich die bereits absolvierten Höhenmeter deutlich fühlen lassen. Das Ding will kein Ende nehmen, zwischen Obstbäumen flacht die Straße etwas ab, um dann hinter der nächsten Kurve wieder steil anzusteigen. Endlich eine Linkskurve wie eine Kanzel über dem Tal – der Col D`Hysope auf 1236 m. Nur noch drei Kilometer bis zur Kontrolle… Ich tauche ein in einen erfrischend kühlen Pinienwald. Um 17:36 lehnt mein Rad zum Zweck der üblichen Kontrollformalitäten am Passschild (km 210). Ich strecke mich noch ein paar Minuten im Wald auf einer Bank aus und freue ich mich auf die lange Abfahrt nach Sisteron ins Tal der Durance. Zu früh, denn es folgt noch ein deutlicher Gegenanstieg.  Ich werde allerdings wieder durch abwechslungsreiche Landschaft entschädigt: In unmittelbarem Gegensatz zur Kulturlandschaft der Südostseite ist die nordwestliche Seite des Passes durch Felsformationen und riesige Erosionsflächen aus grauem Schotter geprägt. Zwischen spärlichen Büscheln grasen ein paar frei laufende Pferde. Weit öffnet sich der Blick auf das breite, fast trockene Tal der Durance und die umliegenden felsigen Bergmassive. Dann kann ich endlich das Rad laufen lassen und um 18:45 Uhr rolle ich in Sisteron (km 237) ein. Ich beschließe, dort zu Abend zu essen, weil die Aussicht auf eine spätere Verpflegungsmöglichkeit vor der nächsten Herausforderung, der Montagne de Lure (1747 m)  unsicher ist. Gleich am Ortseingang finde ich das von Sophie empfohlene Restaurant „La Citadelle“ und lasse mir auf der Aussichtsterrasse über der Durance Pasta und ein Bier servieren.

Montagne de Lure

Das gute Essen, die nachlassende Hitze und die malerische Abendstimmung  machen Lust aufs Weiterfahren, neugierig auf den genau 30 km nach Sisteron beginnenden Anstieg zur  Montagne de Lure, der „kleinen Schwester des Mont Ventoux“ bin ich auch. Angenehm rollt es sich mit leichtem Rückenwind auf der zunächst südlich an der Durance entlang führenden Nationalstraße, und auch die nach ein paar Kilometern nach Westen abzweigende, wieder leicht steigende Strecke fällt mir nach der erfrischenden Pause nicht schwer. Um 21:15 Uhr (km 267) erreiche ich in der späten Abenddämmerung St. Etienne les Orgues, die nächste Kontrollstelle, die den Beginn der gut tausend Höhenmeter hinauf zum „Signal de Lure“ markiert.  Der Anstieg verteilt sich auf insgesamt 18 Kilometer, ist also nicht besonders steil. Und wieder erwartet mich eine überraschende landschaftliche Abwechslung: gleich nach dem Ort beginnen hohe Tannen, die das restliche Tageslicht quasi absorbieren. Immer tiefer führt die Straße in einen geradezu skandinavisch anmutenden, riesigen Nadelwald hinein. Obwohl es gerade erst dunkel geworden ist,  herrscht absolute Einsamkeit : kein Auto, kein Haus, kein Mensch weit und breit. Noch nicht einmal die üblichen, entfernten Geräusche unserer Zivilisation. Die totale Einsamkeit, Kilometer für Kilometer, im nachtschwarzen Wald ist unheimlich. Ich merke allmählich, dass mir an diesem Berg nicht die Steigung schwer wird, sondern diese vollkommene Verlassenheit. Irgendwann erscheint oben an der Bergsilhouette ein rotes Blinklicht, der Sendemast auf dem Gipfel. Aber dieser weit entfernte, einzig erkennbare Hinweis auf die Zivilisation verstärkt das  Einsamkeitsgefühl eher noch. Dann wird der Wald spärlicher, die Straße fast flach und ein leichter Gipfelwind streicht über Schotterfelder und vereinzelte Büsche.  Ich halte an und lege im Schein der Stirnlampe die Nachtausrüstung an: Unterhemd, Beinlinge und Ärmlinge, Windstopper-Weste. Über mir ein prachtvoller Sternenhimmel und, jetzt ganz nah, der riesige Sendemast mit seinem roten Blinklicht . Nach drei Kilometern  steht in einer Linkskehre ein blaues Straßenschild  mit weißer Aufschrift „Pas de la Graille“, meine Kontrollstelle (1.597 m, km 288). Es ist jetzt 23:35 Uhr. Schnell das Foto und den Eintrag ins Streckenbuch. Was dann folgt, ist ein Streckenabschnitt, der jede erfreuliche Assoziation mit dem Wort „Abfahrt“ quasi im Keim erstickt. Ein holpriges, schmales und kurviges Weglein schlängelt sich durch wieder dichten Wald 20 km lang talwärts. Dazwischen heruntergefallene Äste und tiefe Löcher. Die völlige Unübersichtlichkeit und nachtschwarze Dunkelheit  zwingen  mich zu ständigem Bremsen. Bald sind nicht nur die Hände, sondern der ganze Körper schmerzhaft verkrampft.  Endlich scheinen die Lichter des Dörfchens Valbelle durch die Bäume, das Tal der Jabron, der ich jetzt talaufwärts nach Westen folge, ist erreicht. Auf wieder besserem Belag geht es  leicht ansteigend durch mehrere stille Dörfer. Endlich Gelegenheit, die Trinkflaschen wieder an einem Dorfbrunnen aufzufüllen. Mit zunehmender Entspannung kommt die Müdigkeit. Bis zur Auffahrt auf den Mont Ventoux, dem mit Abstand härtesten Brocken des Brevets sind es noch gut 80 km und mehrere kleinere „Cols“. Ohne eine Schlafpause traue ich mir den Ventoux nicht zu. Im Tal herrscht eine kühle Feuchtigkeit und auf dem Col de Macuegne (1.068 m), den ich um 02:48 Uhr mit 344,5 Kilometern auf dem Tacho erreiche, bläst ein frischer Wind. Also fahre ich lieber weiter. Schließlich finde ich auf dem Col de Fontaube (km 368) einen Kiosk mit strohüberdeckter Terrasse. Ich ziehe die Regenjacke über und wickle mich in meine Rettungsfolie. Den Helm benutze ich als „Kopfkissen“. Allein das Hinlegen tut trotz der harten Fliesen unendlich gut und schon bald schlafe ich ein. Nach einer Stunde erwache ich fröstelnd, im Osten zeigt sich schon ein heller Schimmer. Es ist fünf Uhr.  Auf der Abfahrt schüttelt mich die Kälte ein wenig und es fällt mir schwer, den Lenker gerade zu halten. Um 06:23 Uhr erreiche ich Malaucène  (km 398) und damit den Beginn des 21 km langen, legendären  Anstiegs zum „Giganten der Provence“ auf 1910 Meter, das sind 1600 m Höhenunterschied…

Mont Ventoux

In einer Boulangerie, in der es herrlich nach frischem Baguette duftet, kaufe ich mir erst mal Frühstück in Form von Pains au Chocolat und Pains au Raisins (Rosinenschnecken).  Die Flaschen werden am Brunnen aufgefüllt und Beinlinge, Ärmlinge und Windstopper in der Satteltasche verstaut. Beim meiner Pause denke ich an den faszinierenden Berg und seine drei  Anstiege, die ich aus zahlreichen Provence-Urlauben in der Gegend sehr gut kenne. Ich liebe diesen Berg, keinen bin ich öfter hochgeradelt. Die letzten Kilometer durch die kahlen Hänge aus Kalkschotter, hinauf zu dem vollkommen allein stehenden Gipfel mit dem weißen Turm des Observatoriums sind immer wieder ein unvergessliches Erlebnis. Allerdings: Wenn schon der „normale“ Anstieg schwer ist – wie schwer wird es dann erst nach 400 Kilometern, mehr als 8000 Höhenmetern und einer (fast) durchgefahrenen Nacht sein ?  

              Die ersten Kilometer auf der gut ausgebauten Straße sind mäßig steil. Es geht durch lichten Wald und vorbei an malerischen Felswänden. Dann flacht die Steigung über mehrere Kilometer auf 5-7 % ab. Den Gipfel sieht man nicht und ich habe hier wie immer das Gefühl, überhaupt nicht höher zu kommen. Noch fahre ich gleichmäßig und ohne Probleme. Einige Abschnitte liegen schon in der Sonne, aber die Temperatur ist um halb neun Uhr morgens noch recht angenehm. Allerdings folgt als nächstes, auf einer Höhe von etwa 1000 Metern die berüchtigte Steigung „Les Ramayettes“ mit elf Prozent auf gut drei Kilometern.  Ich bin heilfroh über meine Kompakt-Übersetzung von 34/27 und muß trotzdem ganz schön kämpfen. Die aufaddierte Müdigkeit der letzten 27 Stunden hängt wie Blei an mir. Als das Flachstück am Mont Serein fünf km vor dem Gipfel erreicht ist, weiß ich, dass ich es geschafft habe, der Rest ist nicht mehr so steil. Die letzten Kehren im gigantischen Schotterfeld am Nordhang muß ich mich noch einmal quälen, dann ist der sonnenüberflutete Gipfel erreicht (1.910 m, km 419).  Die Luft ist noch klar und der Rundblick geht nach Norden weit in die Alpen. Im Südosten zeichnen sich die waldigen Hänge des Plateau de Vaucluse  ab und das Hochland von Sault – mein nächstes Ziel. Es ist jetzt 09:15. Das Schwerste liegt eindeutig hinter mir und ich schreibe eine kurze SMS an Sophie. Sofort kommt die Antwort: „Bravo, super! Courage !“ . Die Aufmunterung kann ich in meinem ziemlich angeschlagenen Zustand gut gebrauchen. Einen Power Bar-Riegel und einen großen Schluck Wasser, dann stürze ich mich in die fantastische Abfahrt auf der Südseite:   bester Belag und volle Übersicht, kaum enge Kurven. Noch vor dem Talort Bédoin zweigt die Strecke links ab  in das nahe Dorf  Flassan  und dort beginnt schon die nächste Steigung: 600 Höhenmeter hinauf zum Col Notre Dame des Abeilles.

               Monoton steigt die wieder holprige Straße durch einen Wald aus krüppeligen Eichen, und die Sonne brennt schon ganz ordentlich. Die Zikaden haben ihr sommerliches Lied begonnen, laut, rhythmisch und sägend. Schon dieser typische Gesang des Südens erhöht die gefühlten Temperaturen um ein paar Grad. Der Pass, den man  ein paar Kilometer nach der Einmündung in eine größere Straße und einigen Wellen erreicht, ist eigentlich vollkommen unspektakulär, eine weitere Straßenwelle im Wald. Nach einer schnellen Abfahrt endet der Wald und der nächste Ort, Sault liegt sehr malerisch inmitten einer Kulturlandschaft aus grünen Pappeln, gelben Getreide- und violetten Lavendelfeldern. Auf dem Platz fülle ich meine Flaschen auf, setze mich auf eine Parkbank und kaue auf dem Rest meines in Sisteron am Vorabend eingepackten Käse-Sandwichs herum. Dann nehme ich den nächsten Streckenabschnitt über Forcalquier, wieder zurück zum großen Tal der Durance in Angriff. Ab Revest-du-Bion (km 480) fällt die Strecke 40 km lang kontinuierlich bis zur schon vom Vorabend  bekannten Durance und bietet daher etwas Erholung. Dafür wird es umso heißer, je tiefer ich komme. Die leichte,  etwas kühlende Bise vom Vortag fehlt heute, die Luft steht. Mir graut vor der nachmittaglichen Hitzeschlacht auf der anderen Seite des Flusses hinauf zum Plateau de Valensole.   In der nächsten Kontrollstation, dem Örtchen Banon gönne ich mir ein Eis und in Oraison , wo ich das warmgewordene Wasser  in meinen  Flaschen am Brunnen durch frisches ersetze, eine kühle Limonade. Den Bemerkungen der Einheimischen in der Bar entnehme ich, dass heute auch für ihre Begriffe ein heißer Tag ist. Was hilfts – bis zum kühleren Abend will ich jedenfalls nicht warten, also frische Sonnencreme aufgetragen und weiter.

Valensole 

              Der längere Anstieg nach Valensole und auf das gleichnamige Plateau  ist nicht besonders steil, liegt aber voll in der Sonne. Zwei Radlerkollegen in ärmellosen Trikots überholen mich schwatzend und mit etwa doppelter Geschwindigkeit. Normalerweise hätte mich das vielleicht frustriert, heute muntert es mich auf: ich bin nicht der einzige Verrückte, der in dieser Hitze unterwegs ist.  Bald verlässt das Sträßchen das wilde, mit Krüppeleichen und Felsen bestandene Tal und vor mir eröffnet sich eine fast flache Kulturlandschaft,  die herrlich violett blühenden Lavendelfelder reichen bis an den Horizont. Hier lässt es sich rollen!  Von wegen.  Frage: wie bringt man auf einem 50 km breiten Plateau mehr als 1000 Höhenmeter zusammen ? Antwort: durch ganz viele tief eingeschnittene Wasserläufe.   Das bedeutet: Flachstück durch malerische Lavendelfelder, Abfahrt in ein kleines, waldiges Tälchen, Brücklein, Anstieg auf der anderen Seite, Flachstück durch Lavendelfelder, Abfahrt, Brücklein, Gegenanstieg, Flachstück, Abfahrt, Brücklein, Gegenanstieg, Flachstück, Abfahrt, Brücklein….ich weiß nicht mehr, wie oft.  Immer wieder versuche ich, der Streckenbeschreibung und den Höhenangaben eine hoffnungsvolle Perspektive auf das Ende dieser Achterbahnfahrt und die endgültige Abfahrt nach Carcès, das fast dreihunder Meter tiefer als dieses sogenannte Plateau liegt, abzugewinnen. Am unangenehmsten ist  aber das ewige lauwarme Wasser aus den Trinkflaschen, das ich wegen der Hitze literweise in mich reinschütten muss. Endlich überquere ich noch einmal den Verdon, ein nochmals deutlicher Anstieg nach Montmeyan (km 584), dann noch ein paar kleine Buckel im lichten Pinienwald.  Die Hitze ist jetzt nicht mehr so stark. Schließlich kommen die letzten, rollenden Kilometer im Abendlicht durch die grünen Weinfelder hinunter nach Carcès, das ich um 20:01 Uhr nach 609 Kilometern erreiche. Ein wunderschönes und abwechslungsreiches, wenn auch sehr schweres Brevet ist zu Ende.

Peter Riffart

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